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„Das Krankenhaus“ oder „Das Ende der Gesundheit“

Statt auf die Gesundheit der Menschen ist unser System auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet. Es braucht ein breiteres Verständnis von menschlichem Wohlbefinden, das sich über die Grenzen der Krankenhäuser und Arztpraxen hin ausdehnt.

Wird in unserer Gesellschaft eine Krankheit diagnostiziert, beginnen sogleich große Apparate zu arbeiten, es werden Röntgenaufnahmen gemacht, Medikamente verschrieben, Therapien angewandt. Der Mensch in diesen Systemen schlüpft in die Rolle des Patienten, in der er sich der Behandlung zu fügen hat. Das ist der Umgang mit Krankheit, den wir als Gesellschaft gefunden haben. Wir erlauben dem Patienten, aus seiner sonstigen Rolle herauszutreten – für eine Weile nicht zu arbeiten und keiner produktiven Tätigkeit nachzugehen –, um sich ganz der Überwindung der Krankheit zu widmen. Damit kann zwar einerseits eine Genesung begünstigt werden, aber auch eine Stigmatisierung als „krank“ die Folge sein. Insbesondere was chronische oder psychische Erkrankungen betrifft, geht es mit dem Drängen in die Patientenrolle auch oft um eine Ausgrenzung. Diese Rolle bleibt oftmals stärker an einem haften, als es einem lieb sein kann. Bekommen wir erst einmal von einer anerkannten Stelle – einem Arzt – den Stempel aufgedrückt, verändert sich nicht nur der Umgang unserer Mitmenschen, auch wir selbst verändern unser Verhalten. Das kann so weit gehen, dass nicht mehr klar unterschieden werden kann, wo denn nun die Krankheitssymptome aufhören und wo die soziale Zuschreibung beginnt.

Die Krankenhäuser können – wie es ihr Name besagt – eben nur mit solchen Kranken, das heißt mit Patienten, umgehen. Sie brauchen diese klare Zuschreibung, um sie in ihr Versorgungsystem einzubinden, das seine ganz eigene Dynamik besitzt – es gib kaum ein Entkommen mehr aus der aufgesetzten Rolle. Mit dem Eintritt ins Krankenhaus endet sozusagen die Gesundheit, es gibt dort nur noch Kranke sowie Medizinerinnen und Pfleger – die Patientenkarriere beginnt. Und diese Laufbahn endet im besten Falle auch wieder beim Verlassen dieses Hauses. Das Phänomen der Krankheit existiert also nur in diesem engen Rahmen zwischen Tür und Angel der Spitäler. Ist der Rest der Gesellschaft damit bei bester Gesundheit?

Das Problem liegt in dieser klaren Zweiteilung zwischen „krank“ und „gesund“. Mit dieser wird einerseits ausgeblendet, dass es ein Kontinuum zwischen den Polen völliger Gesundheit und Krankheit gibt, zwischen denen ein jeder beständig pendelt. Außerdem führt dieses Verständnis oft zu einer rein biomedizinischen Betrachtung, während Faktoren wie die soziale Umwelt oder das psychische Befinden nicht beachtet werden. Dem setzte der Soziologe Aaron Antonovsky schon in den 70er Jahren das Modell der Salutogenese (d.h. „Gesundheitsentstehung“) entgegen. Dieses verschiebt den Fokus weg von der Krankheit und ihren Ursachen und fragt viel eher nach den Widerstandsressourcen, die ein Mensch hat, um negativen Einflüssen (Stressoren) entgegenzutreten. Diese Widerstandkräfte gehen aber weit über das körperlich-biologische hinaus. Zusätzlich schaut man auf die finanziellen Ressourcen, die sich positiv auswirken können; die emotionale Anpassungsfähigkeit und Resilienz; sowie Unterstützung durch ein stabiles soziales Umfeld. Das Verwerfen des zweigeteilten Denkens von Gesundheit und Krankheit hat aber auch die Folge, dass ein völlig gesunder Zustand in der Realität gar nicht erreicht werden kann. Stattdessen befinden wir uns immer irgendwo auf dem Band zwischen den beiden Polen – wo genau, das hängt von Stressoren von außen und unseren verfügbaren Widerstandsressourcen ab.

Vor diesem Hintergrund wird es die Aufgabe eines Gesundheitswesens, seinem Namen endlich gerecht zu werden – nämlich die Gesundheit zu verbessern, um uns im Spannungsfeld zwischen den beiden Polen in die richtige Richtung zu leiten. Auf der einen Seite geht es um Krankheitsprävention: mögliche Stressoren zurückzudrängen bevor sie überhaupt auftreten. Diese Methode kennen wir etwa von medizinischen Voruntersuchungen, den Warnschildern auf Zigarettenschachteln oder als Hinweise auf gesundheitsgefährdende Ernährung.
Die andere Seite stellt die Gesundheitsförderung dar, bei der gezielt die Widerstandsressourcen der Menschen gestärkt werden und diese kommt in unserem System nach wie vor zu kurz. Es geht dabei oft gar nicht so sehr um das direkte Gesundheitsverhalten – etwa die Ernährung. Im Fokus stehen stattdessen vermehrt soziale Faktoren wie etwa Arbeitsbedingungen, Wohnraum und persönliche Netzwerke etc., die sich auf die Widerstandsfähigkeit der Menschen auswirken.

Dank der guten Versorgungslage ist die Lebenserwartung in Österreich heute sehr hoch – gleichzeitig aber ist auch die Krankheitslast gestiegen. Ebenso sind es weniger die Infektionskrankheiten, die bei uns heute den größten Anteil haben, sondern chronische Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes, Arthritis oder Herz-Kreislauf-Probleme. Vor allem bei diesen kann die biomedizinische Therapie meist nur Milderung aber keine Heilung verschaffen. Es braucht aus diesen Gründen eine Praxis der Gesundheitsförderung und Prävention, um unser Versorgungsystem zu entlasten und ein Mehr an Wohlbefinden unter die Menschen zu bringen. Diese Strategien erstrecken sich weit über die Medizin und das Krankenhaus hinaus, sie beginnen an der Basis der gesellschaftlichen Lebensbedingungen – denn dort liegt ein wirklich großer Hebel.