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„Große Transformation“: Ja, natürlich, aber wie?
Artikel "Große Transformation? Ja, natürlich, aber wie?" aus der UniNEtZ-Artikelserie in "Die Presse" vom 30. 12. 2021
Was sind die notwendige Schritte, um die Ziele für eine
nachhaltige Entwicklung innerhalb der heutigen Systeme zu erreichen?
Die Nachhaltigkeitsziele sind internationaler Konsens. Und das ist gut so. Aber sind sie innerhalb der herrschenden Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftssysteme (kurz: Systeme) erreichbar? Wenn wir diese Frage wie manche Wirtschafts- und Gesellschaftstheoretiker sowie etliche NGOs mit Nein beantworten, ergibt sich folgende Frage: Steht eine Ablösung der derzeitigen nicht nachhaltigen Systeme so unmittelbar bevor, dass wir die Lösung der großen Herausforderungen (z. B. Klimawandel oder Biodiversitätsverlust) auf die Zeit nach einem Systemwechsel verlegen können? Da die Zeit zu handeln sich zumindest beim Klimawandel in Jahren, nicht Jahrzehnten misst, ist dies nicht verantwortbar: Derzeit sind für keines der Systeme im globalen oder überregionalen Maßstab überzeugende Anzeichen zu erkennen, dass eine willentlich herbeigeführte, gezielte sozialökologische Transformation im Sinne eines echten Systemwechsels unmittelbar bevorstünde. Wir müssen daher mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele unter den gegebenen Rahmenbedingungen beginnen. Dabei werden sich zwangsläufig auch Veränderungen in den oben angesprochenen Systemen ergeben – man denke nur an den Übergang von der herrschenden linearen zur Kreislaufwirtschaft.
Ohne Dystopie-Erwartung
Zuvor aber noch zwei wichtige Anmerkungen. Erstens: Die nicht nachhaltigen Systeme könnten hartnäckig sein – so hartnäckig, dass sie alle Reformbemühungen pervertieren oder a priori zunichtemachen. In diesem Fall ergibt sich die Aufgabe, Entwicklungen zu fördern, die den Absturz ins Chaos oder die Fortress World (nach der Stockholm Global Scenario Group) für möglichst viele Menschen möglichst lang erträglich gestalten. In der Klimadiskussion gibt es dazu unter dem Stichwort „Deep Adaptation“ Maßnahmenvorschläge, deren Umsetzung in manchen Fällen auch ohne Dystopie-Erwartung als sinnvoll betrachtet werden kann. Zweitens: Sowohl beim Gesamtsystem als auch bei den wesentlichen Teilsystemen handelt es sich um komplexe Systeme. Deswegen ist eine gezielte Steuerung gegenwärtiger, vor allem aber zukünftiger Entwicklungen im Sinne einer umfassenden Kontrolle grundsätzlich nicht möglich. Komplexe Systeme entziehen sich der direkten Steuerung, wie wir derzeit sehr gut an der Coronakrise erkennen können. Entwicklungen zu beobachten, ständiges Lernen und ein kritisch-reflektierter Umgang mit Fehlschlägen müssen daher Teil jedes Versuches einer Zukunftsgestaltung sein.
Nun zu notwendigen Schritten zur Erreichung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung dominierenden, nicht nachhaltigen Systeme: Die Macht zur Umsetzung der Ziele ist den Entscheidungskompetenzen entsprechend über alle Akteurinnen und Akteure verteilt. Die in der Klimadebatte zu beobachtende Polarisierung, die sich zwischen Vorwürfen einer Ökodiktatur und einer Individualisierung der Verantwortung bewegt, ist müßig: Die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN-Agenda 2030, einschließlich der Klimaziele, werden nur in einer konzertierten Aktion aller Akteure erreicht werden können. Das heißt: Jede und jeder von uns muss das tun, was in ihrem bzw. seinem Verantwortungsbereichliegt. Außerdem gilt es, bei den Zieldefinitionen und bei der Wahl der Mittel zur Zielerreichung möglichst viele Betroffene einzubeziehen. Zu den wichtigen Schritten, die im kommenden Jahr einzuleiten wären, zählen: Bei jeder Entscheidung auf jeder Ebene und von allen Akteurinnen klären: Befördert oder hindert die gewählte Lösung die Erreichung der Ziele? Es genügt auch nicht mehr, das jeweils Mögliche zu tun, sondern vielmehr muss das Notwendige ermöglicht werden. Ein Anfang wäre, legale Umgehung von Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien aller Ebenen zum Nachteil nachhaltiger Entwicklung gesellschaftlich zu ächten und im jeweiligen Verwaltungsapparat zu unterbinden. Duale Vorgangsweisen erweisen sich dabei als notwendig:
Innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen so nachhaltig wie möglich agieren und parallel dazu an der Ausweitung der Bedingungen mitwirken. Das bedeutet z. B., so nachhaltig wie wirtschaftlich möglich zu produzieren, aber zugleich Regelungen einzufordern, die mehr Nachhaltigkeit zulassen (systemintern und systemübergreifend).
Die Möglichkeiten auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene nutzen, aber zugleich auf die Erstellung verbesserter Rahmenbedingungen auf den jeweils höheren, auch internationalen Ebenen hinwirken. Das gilt auch für Individuen: die eigenen aktuellen Möglichkeiten ausschöpfen, aber zugleich darauf hinwirken, dass diese erweitert werden. So kann jede, jeder Einzelne von uns durch klimafreundliche Ernährung die eigene Gesundheit und den Klimaschutz fördern, sich aber zugleich dafür einsetzen, dass in der Werkskantine oder im Kindergarten klimafreundliche Angebote zur Selbstverständlichkeit werden (regional und global, individuell und systemisch);
Positives tun und Negatives lassen. So genügt es nicht, z. B. in erneuerbare Energien zu investieren; die Förderung fossiler Energien muss auch eingestellt werden (innovativ und exnovativ). Die unvermeidbaren Veränderungen im gesellschaftlichen Konsens in nachhaltigere Bahnen zu lenken, ist wohl eine zentrale Herausforderung. Breite Partizipation zu ermöglichen und sich auf allen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ebenen aktiv darum zu bemühen, ganz im Sinne von „Leave No One Behind“, erscheint in einer Demokratie als unabdingbar.
Systemänderung wird es geben
Kurzum: Systemänderung wird stattfinden – gewollt oder als unvermeidbare Folge der Transformation zur nachhaltigen Entwicklung. Auch wenn diese weder wissenschaftlich vorhersehbar noch kontrollierbar ist, ist sie doch mit Maßnahmen auf allen Ebenen, gebührender Flexibilität und einem kritisch-reflektierten Umgang mit Erfolgen und Fehlschlägen gestaltbar. Einige dieser Maßnahmen wurden hier und in den vorherigen Beiträgen dieser Artikelserie bereits aufgezeigt. Nun ist es für uns als UniNetz-Team maßgeblich, mit Vertretern verschiedenster Bereiche der Gesellschaft die nächsten Schritte zu gehen und gemeinsam diese Systemänderung zu gestalten.