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Qualitätsmessung im österreichischen Gesundheitswesen

In den letzten Jahrzehnten gewannen das Qualitätsmanagement allgemein sowie die Messung von Qualität im Speziellen immer mehr an Bedeutung. Das Qualitätsmanagement im heutigen Sinne hat seinen Ursprung in der Produktionsindustrie im 20. Jahrhundert und es hat sich seither auf zahlreiche Sektoren und Berufe ausgeweitet (Timmermans & Angel, 2001; Timmermans & Berg, 2003). Der Gesundheitssektor stellt neben vielen anderen (öffentlichen) Bereichen ein zentrales Beispiel dar, in dem die Bedeutung und Messung von Qualität immer wichtiger zu werden scheint (s.a. Power, 1997, 2000, 2021, 2022). Die Qualitätsmessung im Gesundheitswesen ist für viele verschiedene Akteure wie Regierungen, Leistungserbringer, Forscher:innen oder Patient:innen zu einem zentralen Thema geworden, welches in zahlreichen Reformen in den verschiedensten Gesundheitssystemen zum Ausdruck kommt (s.a. Jordan et al., 2020; Wörndle, 2022).

Während viele jüngere Gesundheitsreformen Kosteneindämmung und Effizienz zum Ziel hatten, die mit steigenden Kosten angesichts einer alternden Bevölkerung und sich ständig weiterentwickelnder medizinischer Innovationen begründet werden (Chua, 1995; Chua & Degeling, 1993; Gebreiter, 2017; Lapsley, 1999, 2007; Preston et al., 1997), sind andere explizite Ziele dieser Reformen die verbesserte Transparenz und Qualität von Gesundheitsdienstleistungen. Jüngste Gesundheitsreformen verbinden daher zunehmend Kosten- und Effizienzüberlegungen mit Ideen und Technologien des Qualitätsmanagements (z.B. Pflueger, 2016, 2020). Bedenken hinsichtlich der Aufrechterhaltung und Verbesserung der Qualität der Gesundheitsversorgung werden dabei oft in Form von Bestrebungen nach Transparenz und des „Empowerment“ von Patient:innen und Fachkräften geäußert (Chua, 1995; Kurunmäki & Miller, 2006; McGivern & Ferlie, 2007; Pflueger, 2016).

In diesem Zusammenhang erstellen steuernde Behörden zunehmend Kennzahlen und Leistungsindikatoren, um die Qualität der Behandlungen innerhalb eines Gesundheitssystems laufend messen zu können, und Gesundheitsdienstleister müssen entsprechend Rechenschaft für die Qualität ihrer Behandlungen ablegen. Patient:innen erwarten sich zudem immer mehr Transparenz bei medizinischen Leistungen und Behandlungen (z.B. Reilley, 2019; Reilley & Scheytt, 2019). Die Verwendung von Qualitätsindikatoren ist jedoch nicht unumstritten, da es unterschiedliche Definitionen von „Qualität im Gesundheitswesen“ gibt, die Messung von Qualität selbst nicht ohne Probleme ist, und nicht zuletzt, weil die Verwendung von Indikatorsystemen immer einen nicht vollständig kalkulierbaren Einfluss auf das Handeln der Akteure, wie Ärzt:innen und Pflegekräfte, hat (Espeland & Sauder, 2007).

Österreich stellt ein solches Beispiel im Lichte des internationalen Trends der zunehmenden Bedeutung von Qualitätskennzahlen dar. Die jüngste österreichische Gesundheitsreform veranschaulicht diesen Trend, da sie ausdrücklich darauf abzielt, die Gesundheitsausgaben einzudämmen sowie die Qualität und Transparenz der Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern. Die Messung von Ergebnisqualitätsindikatoren soll die Leistungen verschiedener Anbieter vergleichbar und für Kostenträger, Angehörige der Gesundheitsberufe und Patient:innen transparent machen.

Einen Kernaspekt dieser Gesundheitsreform stellt die Einführung eines verpflichtenden Qualitätsindikatorsystems, der Austrian Inpatient Quality Indicators (A-IQI), dar (Fuchs, 2015; s.a. Gesundheitsreformgesetz, 2013). Diese Indikatoren werden standardmäßig für alle öffentlichen Krankenhäuser erstellt. Grundlage hierfür stellen die Abrechnungsdaten auf Basis der Kodierung von Leistungen und Diagnosen, der Diagnosis-Related-Groups (DRG bzw. in Österreich: Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung – LKF) dar. A-IQI bilden das relative Ergebnis eines einzelnen stationären Aufenthaltes mittels Ampeln in den Farben rot, gelb und grün, in verschiedenen Kategorien, wie beispielsweise Mortalität, Intensivhäufigkeit oder Komplikationsraten, ab (BMASGK, 2019a, 2019b; BMG, 2016). Im Falle nicht erklärbarer negativer Ergebnisse besteht die Möglichkeit eines Peer-Reviews, bei dem externe Ärzt:innen die Situation beurteilen und bei Bedarf Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung geben.

Die Ergebnisse der A-IQI-Erhebungen, die A-IQI Berichte, werden den ärztlichen Direktor:innen eines jeden Krankenhauses übermittelt. Dabei bleibt es diesen überlassen, wie sie die Ergebnisse innerhalb ihrer Krankenhäuser weitergeben. Ein jährlicher A-IQI-Bericht mit aggregierten Daten aller Krankenanstalten wird veröffentlicht. Einige Ergebnisindikatoren aller Krankenhäuser, z.B. Behandlungsvolumen, Operationstechniken oder Aufenthaltsdauer, werden zudem im Internet auf der Website kliniksuche.at publiziert (BMASGK, 2019a, 2019b).

In der Forschung sehen wir generell einerseits eine immer größer werdende Bedeutung des Qualitätsmanagements und andererseits einen Anstieg von (verpflichtenden) Qualitätsindikatoren im Gesundheitswesen. Die Anwendungspraxis von Akteuren des Gesundheitswesens wurde jedoch oftmals nicht genau untersucht. Wir wissen daher relativ wenig darüber, wie Mitarbeiter:innen von Gesundheitseinrichtungen mit diesen Qualitätsindikatoren umgehen. Bisherige Forschung fokussierte sich in dieser Hinsicht stärker auf den angelsächsischen Bereich, Studien zur Anwendungspraxis von Qualitätsindikatoren sind im kontinentaleuropäischen Kontext selten zu finden (Malmmose, 2019).

Ein vom FWF gefördertes Projekt an der Universität Innsbruck unter der Leitung von Prof. Silvia Jordan hat sich seit dem Jahr 2018 mit der Anwendungspraxis der A-IQI in österreichischen Krankenhäusern beschäftigt. Dieses Projekt untersuchte einerseits den (politischen) Diskurs und die Entstehungsgeschichte der A-IQI (Neff et al., 2021), andererseits wurde die Anwendungspraxis der A-IQI in österreichischen Krankenhäusern analysiert (Wörndle, 2022). Um die Anwendung der A-IQI zu untersuchen, wurden ethnographische Studien durchgeführt, bei denen die Erstellung, Weitergabe und Diskussion der A-IQI in zwei Krankenhäusern jeweils über mehrere Wochen hinweg beobachtet wurden. A-IQI werden trotz ihres verpflichtenden Status nur in geringem Maße diskutiert und verwendet. Dies bedeutet einerseits, dass diese Qualitätsdaten nur einem eingeschränkten Personenkreis, größtenteils Ärztlichen Direktor:innen und Primarärzt:innen, zugänglich gemacht werden. Für zahlreiche andere Berufsgruppen in den Krankenhäusern ist das A-IQI System ziemlich fremd. Andererseits messen auch jene Personen, die A-IQI Berichte erhalten, diesen nur geringe Relevanz bei und erachten sie nur bedingt als Basis für Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung.

Die Gründe für die eingeschränkte Verteilung und Anwendung sind vielfältig. A-IQI können, im Gegensatz zu klinischen Registern, nicht für wissenschaftliche Zwecke oder zu Legitimationszwecken, z.B. ähnlich wie bei Zertifizierungen und Akkreditierungen, genutzt werden. Zahlreiche andere Instrumente des Qualitätsmanagements werden zudem als exakter im Vergleich zu A-IQI wahrgenommen. A-IQI Informationen kommen zudem aus Perspektive des medizinisch tätigen Personals zu spät, sodass ein Bezug zu konkreten medizinischen Handlungen oft schwierig herzustellen ist. Die A-IQI Berichte für ein vergangenes Jahr sind erst im Laufe des nächsten Sommers verfügbar, da das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) die aktualisierte Version des A-IQI Computerprogramms zum Erstellen der Berichte den Krankenhäusern erst im Laufe des Folgejahres zur Verfügung stellt. Ein weiterer Grund für die limitierte Anwendung stellt der geringe Aufwand für die Erstellung der A-IQI aufgrund von DRG-Daten dar. Dies ist insofern ein Nachteil, weil es dazu führt, dass das medizinische Personal in der täglichen Praxis keinen Bezug zu A-IQI herstellen kann. Weitere Gründe sind in der Anwendung der A-IQI durch das Gesundheitsministerium zu verorten. Peer-Reviews werden relativ selten durchgeführt (Summe aller Peer-Reviews österreichweit in den Jahren 2012 - 2020: 170; BMSGPK, 2020, S. 6-7) und Konsequenzen bei negativen Ergebnissen sind sehr eingeschränkt. Peer-Reviews werden unter anderem daher so selten durchgeführt, da es jedes Jahr so genannte Schwerpunktindikatoren gibt und Peer-Reviews fast ausschließlich innerhalb dieser Jahresthemen stattfinden. Es gibt weder budgetäre noch disziplinarische Konsequenzen und auf Grund der mangelnden Publizität der Ergebnisse müssen auch keine negativen Konsequenzen in Hinsicht auf Reputationsverlust befürchtet werden.

In zukünftigen Studien gilt es vor allem den Einfluss spezifischer politischer Kulturen, wie z.B. der österreichischen Konkordanzdemokratie, auf Steuerung von Qualität im Gesundheitswesen, sowie den Einfluss von professionellen Organisationen und Standesvertretungen auf Leistungsmessungen zu untersuchen. Die „Audit Society“ (Power, 1997) – ein Phänomen, das den rasanten Anstieg von Auditierung und Rechenschaftslegungspraktiken seit Ende des 20. Jahrhunderts beschreibt – hat sich im österreichischen Kontext, im Vergleich zu angelsächsischen Ländern, noch nicht allzu stark durchgesetzt und (öffentlich zugängliche) Qualitätsmessungen von medizinischen Behandlungen generell sind im österreichischen Gesundheitswesen nicht sehr verbreitet. Weiters erscheint es interessant zu untersuchen, inwiefern innerorganisationale Faktoren in Krankenanstalten zur geringen Nutzung von A-IQI durch das Gesundheitspersonal beitragen.

Das Gesundheitswesen befindet sich in einem raschen Wandel und die Digitalisierung wird viele Bereiche verändern. Durch die Unterstützung von digitalen Methoden und Software wird es zukünftig noch leichter möglich sein, verschiedene Prozesse und Ergebnisse zu erfassen und weitere Formen der Qualitätsmessung hervorzubringen. Es gilt also auch in Zukunft die Anwendungspraxis von Qualitätsindikatoren zu untersuchen und die Flut an Qualitätsmesssystemen und Leistungsindikatoren kritisch zu hinterfragen.

Dieses Projekt wurde vom FWF gefördert (P 30072-GBL).

Literatur:

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