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„Leben an Land“ in Österreich – zentrale Herausforderung für den Schutz von Landökosystemen, Boden und Biodiversität


Der Verlust und die Gefährdung von Arten und Lebensräumen und die Belastung der Böden sind die maßgebenden Themen von SDG 15. Diese haben auch für Österreich eine hohe Relevanz. In der UniNEtZ Arbeitsgruppe zu SDG 15 sollen konkrete Handlungsoptionen erarbeitet werden, die zur Lösung dieser Probleme beitragen, ohne dass sich negative Auswirkungen auf die Erreichung anderer Ziele ergeben.

Das Ziel 15, „Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen“ vereint 12 Unterziele, von denen 5 bereits 2020 zu erreichen sind[1].

Im Wesentlichen beschreiben die Unterziele die im Ziel beschriebenen großen Herausforderungen in Bezug auf Erhaltung der Biodiversität[2], der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und der Wiederherstellung degradierter Landökosysteme.

Das erste Unterziel verweist außerdem darauf, dass Ziel 15 im Einklang mit den Verpflichtungen aus internationalen Übereinkünften zu erreichen ist – es umfasst also auch alle schon bestehenden relevanten Umweltpolitiken.

[1] 15.1 Bis 2020 im Einklang mit den Verpflichtungen aus internationalen Übereinkünften die Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltige Nutzung der Land- und Binnensüßwasser-Ökosysteme und ihrer Dienstleistungen, insbesondere der Wälder, der Feuchtgebiete, der Berge und der Trockengebiete, gewährleisten

15.2 Bis 2020 die nachhaltige Bewirtschaftung aller Waldarten fördern, die Entwaldung beenden, geschädigte Wälder wiederherstellen und die Aufforstung und Wiederaufforstung weltweit beträchtlich erhöhen

15.5 Umgehende und bedeutende Maßnahmen ergreifen, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume zu verringern, dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende zu setzen und bis 2020 die bedrohten Arten zu schützen und ihr Aussterben zu verhindern

15.8 Bis 2020 Maßnahmen einführen, um das Einbringen invasiver gebietsfremder Arten zu verhindern, ihre Auswirkungen auf die Land- und Wasserökosysteme deutlich zu reduzieren und die prioritären Arten zu kontrollieren oder zu beseitigen

15.9 Bis 2020 Ökosystem- und Biodiversitätswerte in die nationalen und lokalen Planungen, Entwicklungsprozesse, Armutsbekämpfungsstrategien und Gesamtrechnungssysteme einbeziehen

[2] „dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen“ (Nations, 2015).

Rückgang der Biodiversität – ein globales Phänomen, auch in Österreich

Besonders der Verlust und die Gefährdung von Arten und Lebensräumen, die in Unterziel 15.5 adressiert werden[3], ist derzeit eines der größten Probleme weltweit. Der aktuelle IPBES Bericht über die globale Bewertung der Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen zeichnet ein deutliches Bild (IPBES, 2019) dieser großen globalen Herausforderung: weltweit sind derzeit mehr Pflanzen- und Tierarten denn je (ca. 25%) vom Aussterben bedroht Die globalen Aussterberaten sind um ein bis zwei Zehnerpotenzen höher als jemals zuvor während der letzten 10 Millionen Jahre und liegen damit hoch über den natürlichen Hintergrund-Aussterberaten. Natürliche Ökosysteme verzeichnen einen globalen Rückgang von 47% in ihrer flächigen Ausdehnung. Bei Feuchtgebieten sind bereits mehr als 85% ganz verloren gegangen.

Auch Mitteleuropa ist nicht von diesen Trends ausgenommen. So beschreibt eine Langzeitstudie (Hallmann et al., 2017) einen saisonalen Rückgang der Biomasse fliegender Insekten in Deutschland von 76% über den Zeitraum der letzten 27 Jahre. Dies, obwohl die Studie in Naturschutzgebieten durchgeführt wurde.

In Österreich fehlen solch genaue Zahlen. Jedoch sind auch hier die Hinweise auf einen derartigen Trend sichtbar. So sind laut roten Listen derzeit 40% der Gefäßpflanzen (Niklfeld, 1999) gefährdet. Bei den Tieren sind es beispielsweise 35% der Schnecken (Reischütz and Reischütz, 2007) und 41% der Nachtfalter (Huemer, 2007). Die Anzahl von Wirbeltieren hat in Österreich in den letzten 30 Jahren um durchschnittlich 70% abgenommen (Hackländer, 2019). Von den 383 naturschutzfachlich schutzwürdigen Ökosystemtypen sind in Österreich ¾ einer Gefährdungskategorie zugeordnet. Fünf sind bereits ganz verschwunden (Essl and Egger, 2010).

Bei den Gewässern sind mehr als 95% der schutzwürdigen Ökosystemtypen einer Gefährdungskategorie zugeordnet, wobei bereits drei Biotoptypen ganz verschwunden sind (Essl et al., 2008; Essl and Egger, 2010). Laut Nationalem Gewässerbewirschaftungsplan 2015 sind fast 70% der heimischen Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet größer 10 km², hydro-morphologisch degradiert. Sie weisen gemäß EU Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) lediglich einen mäßigen bis schlechten ökologischen Zustand auf und haben somit dringenden Handlungs- bzw. Renaturierungsbedarf (BMLFUW, 2017).

Während die österreichische Forstwirtschaft nachhaltig in Bezug auf die geerntete Menge an Holz ist, also nicht mehr nutzt als in den österreichischen Wäldern zuwächst (26 versus 30 Millionen m³), ist die Bilanz in Bezug auf gefährdete Arten und Waldgesellschaften besorgniserregend: über die Hälfte (57%) der bei uns vorkommenden Waldbiotoptypen ist gefährdet (Essl, 2002). Rechnet man hier die 18 nicht besonders schutzwürdigen, stark anthropogen beeinflussten Forstbiotoptypen heraus, kommt man auf eine Gefährdung von ca. 70% der schutzwürdigen Waldbiotoptypen. Beim Grünland liegt die Gefährdung sogar noch dramatischer bei über 90% (Essl et al., 2004).

Für eine umfassende Beurteilung der Situation der Biodiversität in Österreich ist die Datenlage momentan aber nicht ausreichend. Vieles muss derzeit noch auf Basis von Expert_innenschätzungen erhoben werden. Daher ist ein österreichweites Biodiversitäts-Monitoring unerlässlich. Ergänzend zur österreichischen Waldinventur wurde dieses in der Kulturlandschaft vom Umweltbundesamt bereits einmal durchgeführt. Eine Fortführung dieses Monitorings ist eine kritische Grundlage zur Bestimmung der Biodiversitätsgefährdung in Österreich und somit auch für eine Ist-Zustandsanalyse für SDG 15 unabdingbar. Diese Fortführung ist von staatlicher Seite finanziell langfristig zu gewährleisten und abzusichern.

Als direkte Treiber der Gefährdung von Arten und Lebensräumen identifiziert IPBES (2019) die Änderung der Landnutzung, direkte Ausbeutung und Verschmutzung von Ökosystemen, invasive Arten und den Klimawandel. Für Österreich stellen Intensivierung der Grünlandbewirtschaftung und Verlust von ökologisch wertvollen Flächen, die Eutrophierung durch Düngung und diffuse Nährstoffeinträge und die Nutzungsaufgabe die Hauptgefährdungsursachen dar (Essl and Egger, 2010).

[3] 15.5 Umgehende und bedeutende Maßnahmen ergreifen, um die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume zu verringern, dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende zu setzen und bis 2020 die bedrohten Arten zu schützen und ihr Aussterben zu verhindern.

Boden unter Druck – hohe Flächenversiegelung und Erosion belasten Österreichs Böden

Flächenversiegelung ist ein weiterer wichtiger Faktor für den Verlust von Lebensräumen und die Gefährdung von Arten. Lebensräume der Kulturlandschaft, wie Grünland sind dadurch besonders bedroht (Essl et al., 2018a). Die österreichische Inanspruchnahme von Flächen ist sehr hoch. Im Jahr 2015 waren bereits 4,3% der gesamten Landesfläche versiegelt (Eurostat, 2019). In den Jahren 2016-2018 wurden durchschnittlich weitere 11,8 ha Fläche täglich durch Bodenversiegelung in Anspruch genommen. Der Großteil davon wird für Bau- und Verkehrsflächen sowie Betriebsflächen verwendet (Umweltbundesamt, 2019). Einkaufs- und Fachmarktzentren an den Siedlungsrändern sind hier besonders zu erwähnen (Umweltbundesamt, 2016). So liegt Österreich im europäischen Vergleich an der Spitze in der pro Kopf Verkaufsflächenausstattung im Einzelhandel (GfK, 2015). Eine weitere Fortschreibung der bisherigen Trends wird zu einer weiteren massiven Ausweitung versiegelter Flächen in den nächsten Jahrzehnten führen (Essl et al., 2018b).

Der Verlust des Bodens mit all seinen Funktionen ist nicht nur in Bezug auf die dort lebenden Arten äußerst kritisch: er bringt auch zahlreiche weitere Probleme mit sich, allen voran die Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion durch den Verbau fruchtbarer Flächen für die Landwirtschaft (Haslmayr et al., 2018), aber auch Hitzeentwicklung und gesteigerte Hochwassergefahr (Gluch et al., 2006; Xu, 2010).

Bei der Bodenerosion ist Österreich im EU-Vergleich das Land mit der dritthöchsten geschätzten Erosion durch Wasser. Und während in den anderen EU-28 Staaten dieser Wert von 2009 bis 2012 im Abnehmen begriffen war, ist er in Österreich gestiegen (European Union, 2018).

Agenda 2030 – integrierte, themenübergreifende Ziele für eine bessere Zukunft

Zur ganzheitlichen Bearbeitung dieser komplexen Problemfelder bietet die 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Nations, 2015) ein gutes Rahmenwerk. Durch ihre Unteilbarkeit und den integrierten Zugang wird ein besonderes Augenmerk auf die Interaktionen zwischen den Zielen gelegt. Dadurch soll ein siloartiges Abarbeiten der Ziele und das Auftreten von Zielkonflikten verhindert werden (Gratzer and Winiwarter, 2018).

Am Beispiel Wald lässt sich das gut verdeutlichen:

Wälder bedecken gut 30% der Landfläche des Globus. Sie tragen wesentlich zur Stabilisierung des Klimas und der Bindung von Kohlenstoff bei und erbringen wichtige Ökosystemleistungen. Sie spielen auch eine wichtige und oft nicht bewertete Rolle in der Bekämpfung von Armut: umfassende Erhebungen im Rahmen des „Armut und Umwelt‐Netzwerkes“ in 7800 Haushalten an 58 Standorten in bewaldeten Regionen in Entwicklungsländern von Südamerika über Afrika bis Asien haben ergeben, dass 22% des Haushaltseinkommens aus Produkten kommen, die in angrenzenden Wäldern gesammelt und geerntet werden. Das ist nur etwas weniger als das Einkommen, das diese Haushalte aus Pflanzenbau erwirtschaften (29%). Ähnliches gilt für die Reduktion von Hunger, 30% des Einkommens aus Wald ist Nahrung. Wälder tragen also dazu bei, Armut und Hunger zu reduzieren (SDG 1 und SDG 2), vorausgesetzt, die Landnutzer_innen haben Zugang zu dieser Ressource. Wenn dieser Zugang durch Intensivierung der Bewirtschaftung dieser Wälder oder deren Schutz erschwert wird, drohen massive Verschlechterungen der Lebensumstände dieser Menschen.

Dieses Beispiel zeigt die Stärke und das Potential der Agenda 2030: in der Vergangenheit wurden Maßnahmen zum Klimaschutz wie z.B. die Errichtung von Plantagen zur Erzeugung von Agrotreibstoffen oder Naturschutzvorhaben häufig ohne Berücksichtigung potentiell negativer Auswirkungen auf die Lebensumstände der lokalen Bevölkerung in armen Ländern durchgeführt. Sie haben dann auch oft armutsverstärkend gewirkt und lokale Ungleichheiten erhöht.

Die SDGs bieten nun ein Rahmenwerk das es erlaubt, solche Auswirkungen zu vermeiden und umfassende Beurteilungen und Prüfungen von Maßnahmen durchzuführen – vorausgesetzt, der politische Wille zu einer solchen Berücksichtigung ist vorhanden.

SDG 15 im UniNEtZ – Problemlösungen für Österreich

Für Österreich wird im Rahmen des SDG UniNEtZ der Status quo der Erreichung von Ziel 15 unter Einbeziehung von telecoupling Effekten, also Externalisierungen von Biodiversitätsbelastungen durch heimische Produktion (z.B. durch Importe von Soja-Futtermitteln für die Viehzucht) oder heimischen Konsum dargestellt. Daraus werden Handlungsoptionen erarbeitet, die zur Zielerreichung beitragen. Diese Handlungsoptionen werden auf ihre Auswirkung auf andere Ziele und Unterziele getestet. Optionen mit hoher Wirksamkeit und vielen Synergien (die also auf die Erreichung einer Reihe anderer Ziele ebenso positiv wirken) werden als starke Empfehlungen ausgearbeitet werden.

Aus bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten lässt sich ableiten, dass Ziel 15, gemeinsam mit SDG 12, die Meisten negativen Interaktionen mit anderen Zielen aufweist (Pradhan et al., 2017), die sich allerdings nicht ausschließen (Weitz et al., 2018). Für dieses Ziel gilt es also besonders, Handlungsoptionen zu entwickeln, die wie beschrieben, Synergien mit anderen Zielen maximieren und negative Interaktionen minimieren.

Insgesamt wird die Erreichung von SDG 15 in Österreich nur durch erhebliche Anstrengungen im Bereich Renaturierung und Ökologisierung der Landnutzung sowie starker Anpassungen in der Raumplanung möglich sein.

Literatur

BMLFUW (Ed.), 2017. Nationaler Gewässerbewirtschaftungsplan 2015 358.

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Essl, F., Egger, G., Karrer, G., Theiss, M., Aigners, S., 2004. Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen Österreichs: Grünland, Grünlandbrachen und Trockenrasen, Hochstauden- und Hochgrasfluren, Schlagfluren und Waldsäume, Gehölze des Offenlandes und Gebüsche, Monographien / Umweltbundesamt.

Essl, F., Egger, G., Poppe, M., Rippel-Katzmaier, I., Staudinger, M., Muhar, S., Unterlechner, M., Michor, K., 2008. Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen Österreichs: Binnengewässer, Gewässer und Ufervegetation, Technische Biotoptypen und Siedlungsbiotoptypen. Neuer Wissenschaftlicher Verlag GmbH Nfg KG.

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Essl, F., Moser, D., Mildren, A., Gattringer, I., Banko, G., Stejskal-Tiefenbach, M., 2018b. Analyse des Konfliktpotenzials zwischen Flächenwidmung und naturschutzfachlich wertvollen Lebensräumen in Österreich 39.

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