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Wem dient die Wirtschaft? Uns allen hoffentlich!

Artikel "Wem dient die Wirtschaft? Uns allen hoffentlich!" aus der UniNEtZ-Artikelserie in "Die Presse" vom 19. 11. 2021

Ein wachstumsorientiertes (Wirtschafts-)System gefährdet das menschliche Wohlergehen. Es braucht Alternativen – am besten jetzt.

Es sei die Wirtschaft, die alles andere bestimmt. Mit diesem Slogan hat Bill Clinton vor 30 Jahren seine ersteWahl zum Präsidenten der USA gewonnen. „Geht’s der Wirtschaft gut . . .“ – so wird der Spruch diesseits des Atlantiks gern abgewandelt. In Österreich beeinflussen die Aktivitäten der mehr als 500.000 Unternehmen mit 4,3 Mio. Erwerbstätigen ganz ohne Zweifel, ob und wie gut die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) erreicht werden. Zur Wirtschaft gehören aber auch staatliche und nicht profitorientierte Akteure, die Güter und Dienstleistungen anbieten und nachfragen, Menschen beschäftigen und natürliche Ressourcen dabei einsetzen. Ein Primat der Wirtschaft über andere gesellschaftliche Ziele widerspricht hingegen dem Geist der „Agenda 2030“, auf die sich alle Staaten der Welt 2015 geeinigt haben. Statt eines gesellschaftlichen Teilsystems, das durch die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse beiträgt, ist die Wirtschaft zum dominanten Teilsystem der Gesellschaft geworden – und das quantitative Wirtschaftswachstum zum dominierenden Ziel, welches nur durch stetig wachsende Märkte und steigenden Konsumerreicht werden kann. Über das Wirtschaftssystem werden Güter und Dienstleistungen und damit auch Ressourcen, Geld und Arbeit verteilt. Ungleiche Verteilung führt zu Markt- und somit Machtkonzentrationen bis hin zu Monopolen, die das Funktionieren der Marktwirtschaft und den sozialen Frieden insgesamt gefährden. Das reichste Prozent der Österreicher besitzt inzwischen rund 40% des Nettovermögens; damit steht Österreich – gemeinsam mit Deutschland – in der Eurozone an der Spitze der Ungleichverteilung. Die negativen Folgen können durch Reformen für sozial gerechtere Arbeitsbedingungen gemildert werden. Um aber die eskalierenden Rückkopplungen einzubremsen, sind andere, erprobte Instrumente erforderlich. Hierzu zählen die Besteuerung sehr großer Vermögen, Erbschaftssteuern mit Freibeträgen für kleinere Erbschaften und Ober- und Untergrenzen für Löhne und Gehälter. In einem marktwirtschaftlichen System, das Unternehmen große Freiheiten einräumt, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass sie negative ökologische und soziale Auswirkungen verhindern. Neben Selbstverpflichtungen der Unternehmen sind daher Verbote und Gebote bzw. Pönalen sowie finanzielle Anreize in Form von Steuern oder Förderungen sinnvoll. Materieller Mangel konnte im herrschenden System deutlich verringert, aber nicht behoben werden. Auf anderen Ebenen sind dafür Probleme entstanden, die mit erhöhtem Konsum nicht zu lösen sind. Im Gegenteil: Das vorherrschende wachstumsorientierte, (finanz-)kapitalistisch getriebene Wirtschaftssystem gefährdet mittlerweile das menschliche Wohlergehen und führt durch seine hohe Ressourcenintensität zur Übernutzung der Natur, und das Auseinanderdriften von Real- und der Finanzwirtschaft löst periodisch Finanz- und/oder Wirtschaftskrisen aus.

Ziele neu definieren

Eine neue nachhaltige Wirtschaftsordnung bedeutet zuallererst, dass die Ziele des Wirtschaftssystems neu definiert werden und die Erreichung dieser Ziele einem ständigen Monitoring unterliegt. Während das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur den von Märkten gehandelten Output misst, sollte ein solches Maß auch öffentliche Güter und Dienstleistungen, Gemeingüter, genossenschaftliche, solidarische und tauschlogikfreie Netzwerke, Subsistenzstrukturen (Haushalte, Bauernhöfe, Hofgemeinschaften, Ökodörfer) sowie die Überschreitung der ökologischen und sozialen Grenzen angemessen erfassen. Es gibt bereits zahlreiche Vorschläge, wie eine Messung der Wirtschaft und des wirtschaftlichen Fortschritts aussehen könnte, die über das BIP beziehungsweise BIP-Wachstum hinausgeht. Es wäre insofern nur konsequent, Fortschritt v. a. als Verbesserung im Sinne der SDGs zu bewerten, also etwa Bildung und Gesundheit, Zustand der Umwelt, Arbeitslosigkeit und die Verteilung von Einkommen und Vermögen in die Betrachtung einzubeziehen. Dem Prinzip der Kostenwahrheit kann darüber hinaus eine ökosoziale Steuerreform dienen, die CO2-Preise zusätzlich zu den bestehenden Energiesteuern und -abgaben mit einer Rückverteilung der CO2-Steuereinnahmen verbindet, die neben den Haushalten auch besonders nachhaltige Unternehmen zielgerichtet entlastet. Das Ziel eines guten Lebens für alle innerhalb der ökologischen, planetaren Grenzen erfordert entsprechende mikroökonomische (unternehmerische und finanzwirtschaftliche) Aktivitäten und einenmakroökonomischen (politischen) Rahmen und Berücksichtigung übergeordneter öffentlicher staatlicher Interessen. (Siehe dazu Artikel 3 dieser Serie vom 12. November.) Die unerwünschten Folgen der geltenden Wirtschaftsordnung haben alternative Ansätze entstehen lassen, etwa neue Genossenschaften, Community Supported Agriculture, Repair Cafes, Kleidertauschbörsen, Verschenkläden und FoodCoops, aber auch Wissensplattformen wie Wikipedia, die sich der strengen Marktlogik entziehen. Alternative Versicherungs- und Bankenmodelle sind im Entstehen. Die Aufwertung unbezahlter Arbeit bspw. von Pflege und Erziehung kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Dahinter gibt es mittlerweile auch eine Vielzahl an integrativen Wirtschaftskonzepten, die soziale und ökologische Rahmenbedingungen berücksichtigen. Moderne Verständnisse der Bioökonomie und Circular Economy (Kreislaufwirtschaft) integrieren auch soziale Fragestellungen, wie etwa die ökosoziale Marktwirtschaft und Gemeinwohl-Ökonomie. Einige Konzepte sind bereits in Umsetzung – so beruht der Green Deal auf EU-Ebene auf einer Kreislaufwirtschaft mit dem Ziel der Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch. Der auch in Österreich politisch erwünschte Umstieg auf Kreislaufwirtschaft bedeutet den Übergang zu langlebigen Qualitätsprodukten ohne geplante Obsoleszenz. All das würde dazu beitragen, die Wirtschaft in einer pluralen Gesellschaft wieder so zu gestalten, wie sie eigentlich gedacht war: als ein Mittel, allen ein gutes Leben zu sichern, ohne die natürlichen Ressourcen zu überfordern.