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Wie unser Essverhalten die globale Gesundheit gefährdet - und warum wir dringend handeln müssen

Wir sehen uns heute mit einer der größten Herausforderungen unserer Zeit konfrontiert - dem Klimawandel. Die Erde hat sich in den letzten 130 Jahren bereits um etwa 0,85°C erwärmt (1); doch das ist erst der Anfang. Der aktuelle Bericht des International Panel of Climate Change (IPCC) warnt: eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C oder sogar 2°C wird bald nicht mehr möglich sein, wenn es nicht zu einer drastischen und sofortigen Reduktion der Treibhausgasemissionen kommt (2,3).

Der Klimawandel stellt bereits jetzt eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit aller Menschen dar. Er verschärft Wasser-, Nahrungsmittel- und Ressourcenknappheit (1,4), verursacht Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Waldbrände, Wirbelstürme, Monsunregen, Hitzewellen und Dürren. Katastrophen, die nicht nur an Häufigkeit, sondern auch an Intensität zunehmen (5). Weitere damit verbundene Umweltveränderungen wie die Luft- und Meeresverschmutzung, der Verlust der biologischen Artenvielfalt, die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und die zunehmende Belastung durch giftige Chemikalien drohen, die in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte in der menschlichen Gesundheit auszulöschen. Als medizinisches Personal stehen wir in der Verantwortung, diesem Trend entgegenzuwirken und eine führende Rolle bei der Bewältigung der Probleme einzunehmen (6,7).

Klimawandel und seine Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit

Viele WissenschaftlerInnen sind sich inzwischen einig: Ein globaler Anstieg von 1,5°C über den vorindustriellen Durchschnitt und der damit verbundene, anhaltende Verlust biologischer Vielfalt wird katastrophale Gesundheitsschäden nach sich ziehen (8). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass der Klimawandel zwischen 2030 und 2050 etwa 250.000 zusätzliche Todesfälle pro Jahr verursachen wird - allein durch Unterernährung, Malaria, Durchfall und Hitzestress (1). Eine noch größere Gefahr stellt die globale Ernährungssicherheit dar, die klimawandelbedingt einzubrechen droht. Höhere Temperaturen, in Kombination mit zunehmenden Extremwetterereignissen, Veränderungen in den Niederschlagsmustern und einer Nährstoffverarmung der Böden, können die Ernteerträge in Zukunft drastisch beeinträchtigen. Andere Studien der Universität von Oxford rechnen mit einem Anstieg von 529.000 erwachsenen Todesfällen pro Jahr bis zum Jahr 2050; bedingt durch eine geringere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, insbesondere Obst und Gemüse (9). Darüber hinaus gibt es deutliche Hinweise darauf, dass sich der Klimawandel nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der Lebensmittel, wie Nährstoffdichte und Vielfalt, sowie Lebensmittelpreise auswirken wird (10).

Ein aktueller Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), dem UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) und dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) stellt fest, dass die Zahl der aufgrund von Klimawandel und Konflikten (die wiederum durch klimabedingte Schocks verschärft werden) unterernährten Menschen bereits jetzt gestiegen ist (11). Die Belastung durch Unterernährung wird sich aktueller Prognosen nach leider noch weiter verschärfen (12). Dieser Negativtrend trifft zudem unverhältnismäßig stark vulnerable Bevölkerungsgruppen - darunter ältere Menschen, ethnische Minderheiten, sozioökonomisch benachteiligte Gruppen, Menschen mit grundlegenden Gesundheitsproblemen und Kinder (2,3). Vor allem die Jüngsten leiden besonders unter den Folgen. Einem UNICEF-Bericht aus dem Jahr 2021 nach sind weltweit eine Milliarde Kinder einem extrem hohen Risiko durch die Auswirkungen des Klimawandels ausgesetzt (13).

Neben den Folgen des Klimawandels auf die Ernährungssicherheit sind Hitzewellen ein weiteres großes Problem, das wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Die hitzebedingte Sterblichkeit ist in den letzten 20 Jahren um mehr als 50% gestiegen, insbesondere bei Menschen über 65 Jahren (3). Indirekte Folgen des Temperaturanstiegs sind zudem ein höheres Maß an Dehydrierung und die damit verbundene Verschlechterungen der Nierenfunktion bei älteren Menschen, ein Anstieg an tropischen Infektionen, Schwangerschaftskomplikationen, dermatologischen Malignome, Allergien, kardiovaskulären und pulmonalen Morbiditäten sowie negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit (14,15).

Zudem sind auch steigenden Zahlen an Infektionskrankheiten eine direkte Folge des Klimawandels. 75% der neu auftretenden menschlichen Infektionskrankheiten sind zoonotisch, also von Tieren übertragen (16). Nicht zuletzt die COVID-19 Pandemie hat aufgezeigt, wie verwundbar wir gegenüber Infektionskrankheiten sind. Leider wird auch die Häufigkeit an Pandemien durch den Klimawandel und die Zerstörung natürlicher Lebensräume in Zukunft zunehmen, wie unter anderem eine neue Studie in Nature zeigt (17). Auch in dieser Hinsicht sind ärmere Gemeinschaften unverhältnismäßig stark betroffen (18). Bekannte Infektionskrankheiten wie Malaria, Dengue-Fieber und Ebola dürften in der Zukunft aufgrund der höheren Überlebensrate von Stechmücken ebenfalls dramatisch zunehmen (19). Eine kürzlich durchgeführte Studie, die sich speziell mit Ebola befasste, kam zu dem Schluss, dass das Gebiet, das von "Spillovers" von Ebola betroffen sein könnte, um fast 15% zunehmen wird. Das könnte neue Teile West- und Zentralafrikas und damit Millionen von Menschen der Krankheit aussetzen (20).

Wie unsere Essverhalten das Klima beeinflusst

Mindestens ein Viertel aller Treibhausgasemissionen (THG) wird von der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verursacht (21) – und die Tierhaltung ist für den größten Teil davon verantwortlich. Eine Analyse der FAO schätzt die Zahl auf etwa 14,5% (22), anderen Analysen nach ist die Tierhaltung für mindestens 51% aller globalen THG-Emissionen verantwortlich (23). Die Diskrepanz in den Berechnungen ergibt sich daraus, dass tierische Landwirtschaft nicht nur direkt eine wichtige Triebkraft für die Treibhausgasemissionen, sondern auch eine große Belastung für die Flächennutzung und den Bedarf an Süßwasser darstellt. Die Tierhaltung beansprucht weltweit 40% der Ackerflächen und 70% der Süßwasserressourcen (24-26). Ein unermesslicher Verlust an Biodiversität und massive Landrodungen sind die Folge. In Anbetracht dieser Zahlen muss dringend eine Umgestaltung unseres Ernährungssystems mit einem Wandel hin zu pflanzlicher Proteinproduktion stattfinden. Warnende Worte kommen auch von den Autoren einer Studie in Science: die Klimaziele des Pariser Abkommens können bei dem derzeitigen Trend in der globalen Nahrungsmittelproduktion nicht erreicht werden - auch wenn wir sofort die Emissionen fossiler Brennstoffe stoppen würden (27).

Was wir tun können

Das Potenzial für Klimaschutzmaßnahmen durch eine Umgestaltung unseres Ernährungssystems ist enorm. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2018, in der Daten von mehr als 38.000 landwirtschaftlichen Betrieben weltweit gesammelt wurden, zeigt: allein durch die Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung könnten die Treibhausgasemissionen um 49% und die Landnutzung um 76% gesenkt werden (28). In einer anderen Übersichtsarbeit stellten die Autoren fest, dass durch eine Umstellung der derzeitigen Nahrungsaufnahme auf eine stärker pflanzlich orientierte Ernährung eine Verringerung der THG-Emissionen in Gebieten mit hohem Einkommen um bis zu 70% erreicht werden könnte (29). Die Verringerung der Umweltauswirkungen war im Allgemeinen proportional zum Umfang der Reduzierung der tierischen Lebensmittel. Auch eine neue Analyse der renommierten Boston Consulting Group kommt zu dem Schluss: Ein Wandel hin zu pflanzenbasierter Proteinproduktion hat das größte C02-Einsparpotential aller aktuellen Dekarbonisierungsmaßnahmen (30).

Das Ziel des Pariser Abkommens, die Erderwärmung unter +1,5°C im Vergleich zu vorindustriellen Niveau zu halten, ist erreichbar – aber nur mit einem grundlegenden Wandel in der Art, wie wir unser Essen produzieren (22). Ein schnelles Handeln der EntscheidungträgerInnen ist gefragt, - begleitet von einem Umdenken auf kollektiver und individueller Ebene. Nicht nur um unseren Planeten zu schützen, sondern auch um die Gesundheit aller Menschen auf unserem Planeten zu bewahren.

Literatur

1. WHO (2021) Climate change and health. Retrieved July 13, 2022 from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/climate-change-and-health.

2. IPCC (2021) Summary for Policymakers. In: Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Masson-Delmotte V, Zhai P, Pirani A, Connors SL, Péan C, Berger S, Caud N, Chen Y, Goldfarb L, Gomis MI, Huang M, Leitzell K, Lonnoy E, Matthews JBR, Maycock TK, Waterfield T, Yelekçi O, Yu R, and Zhou B (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, pp. 3−32, doi:10.1017/9781009157896.001.

3. Watts N, Amann M, Arnell N, et al. (2021) The 2020 report of The Lancet Countdown on health and climate change: responding to converging crises. The Lancet 397(10269), pp. 129–170.

4. Wheeler N and Watts N (2018) Climate Change: From Science to Practice. Current environmental health reports 5(1), pp. 170–178.

5. IFRC (2020) World Disasters Report 2020: Come Heat Or High Water. International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies, Geneva. Retrieved July 26, 2022 from:https://www.ifrc.org/sites/default/files/2021-05/20201116_WorldDisasters_Full.pdf.

6. Xie E, Falceto de Barros E, Abelsohn A, et al. (2018) Challenges and opportunities in planetary health for primary care providers. The Lancet Planetary health 2(5), pp. e185–e187.

7. Moser AM, Stigler FL and Haditsch B (2017). Physicians' responsibility for planetary health. The Lancet Planetary Health 1(2):e56. doi: 10.1016/S2542-5196(17)30023-2.

8. Atwoli L, Baqui AH, Benfield T, et al. (2021) Call for Emergency Action to Limit Global Temperature Increases, Restore Biodiversity, and Protect Health: Wealthy Nations Must do Much More, Much Faster. Ann Glob Health 87(1), p. 88.

9. Springmann M, Mason-D'Croz D, Robinson S, et al. (2016) Global and regional health effects of future food production under climate change: a modelling study. The Lancet 387(10031), pp. 1937–1946.

10. Smith, KR, Woodward A, Campbell-Lendrum D, et al. (2014) Human health: impacts, adaptation, and co-benefits. In: Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Part A: Global and Sectoral Aspects. Contribution of Working Group II to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, pp. 709-754. Retrieved July 15, 2022 from: https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/02/WGIIAR5-Chap11_FINAL.pdf.

11. FAO, IFAD, UNICEF, WFP, and WHO (2022) The State of Food Security and Nutrition in the World 2022. Repurposing food and agricultural policies to make healthy diets more affordable. Rome, FAO. https://doi.org/10.4060/cc0639en.

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14. Haines A and Ebi K (2019) The Imperative for Climate Action to Protect Health. The New England Journal of Medicine 380(3), pp. 263–273.

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