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Eine gesunde Ernährung kann Millionen Menschenleben retten – warum setzen wir sie nicht um?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt: die Folgen des Klimawandels, Infektionskrankheiten und nicht-übertragbare Krankheiten (NÜK) wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebserkrankungen drohen nicht nur unsere individuelle, sondern auch die globale Gesundheit zu destabilisieren (1). Aus der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre und Jahrzehnte wissen wir, dass alle drei Faktoren eng über einen gemeinsamen Nenner miteinander verknüpft sind: Die Ernährung – oder genauer gesagt, das Überangebot industriell verarbeiteter Nahrungsmittel sowie die Produktion und der Konsum zu vieler tierischer Produkte. Ein Problem mit greifbarer Lösung: durch ein entsprechendes Umdenken in der Art, wie wir unser Essen produzieren und ein tiefgreifendes Verständnis für die Rolle der Ernährung in der Krankheitsentwicklung können mehrere globale Probleme auf einmal behandelt werden. Oft fehlt es nicht an Wissen, sondern nur am Willen zur Umsetzung der nötigen Maßnahmen.

Klimawandel

Die Nahrungsmittelproduktion ist weltweit für 19-29% aller von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen (THG) verantwortlich (3). Auch in Österreich ist der Anteil mit 20-30% sehr hoch (4,5). Der größte Teil davon stammt aus der Produktion tierischer Produkte - 14,5% der globalen Emissionen nach Berechnungen der Vereinten Nationen (6). Andere Analysen, die zusätzliche Faktoren wie Waldrodung und den damit verbundenen Verlust von C02-sequestrierenden Flächen mit einbeziehen, sprechen sogar von bis zu 51% aller THG-Emissionen (7). Gleichzeitig ist das Einsparpotential enorm: eine Umstellung zu einer großteils pflanzenbasierten Landwirtschaft kann die THG-Emissionen weltweit um 49% und die Landnutzung um 76% senken (8). In Anbetracht dieser Zahlen ist ein Wandel in unseren landwirtschaftlichen Praktiken nicht länger vermeidbar, wenn die Ziele des Pariser Abkommens (Limitierung der Erderwärmung auf +1,5°C zum vorindustriellen Zeitalter) erreicht werden sollen. Auch AutorInnen in Science sind sich 2022 einig: selbst wenn weltweit der Ausstoß aus Industrie und Transport eingeschränkt wird, sind die Klimaziele nicht erreichbar, solange auf globaler Ebene nicht die Produktion tierischer Produkte limitiert wird (9). Leider spiegeln sich diese Erkenntnisse nicht in nationalen Ernährungsguidelines wieder, die immer noch zu stark auf tierische Produkte setzen (10).

Pandemien

Das SARS-CoV-2 Virus hat aufgezeigt, wie nah an der Belastungsgrenze unser Gesundheitswesen operiert. Zu Recht ist die Pandemieprävention jetzt in den Fokus der globalen Gesundheitspolitik gerückt. Die COVID-19 Pandemie ist gleichzeitig nicht die erste und – wie ExpertInnen warnen – nicht die letzte Pandemie (10). Die Frage, wie Pandemien vermieden werden können, ist also nicht neu. Institutionen wie die UN sowie zahlreiche ExpertInnen warnen seit Jahrzehnten davor, dass unter anderem die Viehzucht und die damit verbundene Zerstörung natürlicher Lebensräume für das Auftreten von Pandemien maßgeblich mitverantwortlich ist (11,12). 75% der in den letzten zehn Jahren auftretenden Infektionskrankheiten sind zoonotisch, also von Tieren auf den Menschen übertragen (13), und die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren und der damit verbundene Verlust natürlicher Barrieren bringt uns immer häufiger in Kontakt mit neuartigen Krankheitserregern (14).

Nicht-übertragbare Krankheiten

Nach Angaben des American College of Lifestyle Medicine ist ein gesunder Lebensstil durch ausreichende körperliche Aktivität, eine vollwertige Ernährung, die Reduktion von Stress, der Abstinenz von Drogen, guten Schlaf und gute soziale Beziehungen gekennzeichnet (15). Bis zu 80% aller NÜKs werden mit ungesunden Lebensstilentscheidungen des Einzelnen in Verbindung gebracht (16-18) - zusammen machen sie 71% aller Todesfälle weltweit aus (19). In Österreich sind es 2019 sogar 93% (20), in den Vereinigten Staaten 90% (20). Laut der Global Burden of Disease Study stellt dabei eine suboptimale Ernährung den größten Risikofaktor weltweit dar, noch vor Tabakrauch (18).

Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Arterieller Hypertonie oder Übergewicht versterben nicht nur früher, sondern sind zudem weniger resilient gegenüber gesundheitlicher Auswirkungen extremer Hitzeperioden (21). In Bezug auf COVID-19 zeigte eine Untersuchung aus den USA, dass zwei Drittel aller schweren COVID Verläufe auf Vorerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck zurückzuführen sind (22). Auch das Risiko an einer COVID-19 Erkrankung zu versterben ist höher (23).

Die Wissenschaft zeigt aber schon lange, dass Menschen, die auf eine pflanzenbasierte Ernährung setzen, meist deutlich geringere Raten an NÜKs aufweisen (24); und dass diese Ernährungsweise gesundheitliche Vorteile für die Prävention und Behandlung verschiedener Krankheiten mit sich bringt (24-29). Eine Umstellung auf eine pflanzenbasierte Ernährung ist zudem nicht nur in der Behandlung von Diabetes und Übergewicht erwiesenermaßen erfolgreich (26), sondern auch bei der Behandlung von Prostatakrebs im Frühstadium (27) und der Therapie arteriosklerotischer Plaques in den Herzkranzgefäßen (28,29) – Erfolge, die sogar invasive Eingriffe nicht immer vorweisen können (30). Auch die größte Ernährungsgesellschaft weltweit, die Academy of Nutrition and Dietetics, ist sich einig, dass eine gut geplante vegetarische, inklusive rein pflanzliche Ernährung, für alle Lebensabschnitte geeignet und potenziell gesundheitsfördernd ist (25).

Wissenslücke

Wie wir mit diesem Artikel zeigen wollen, kann eine gesunde, bedarfsdeckende, vollwertig pflanzenbasierte Ernährung auf individueller Ebene das Auftreten vieler NÜKs senken und gleichzeitig dabei helfen, die Klimaziele zu erreichen und das Auftreten neuer Infektionskrankheiten zu vermindern.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind vorhanden, trotzdem mangelt es in vielen Bereichen an der Umsetzung. Auf gesundheitspolitischer Ebene fehlt es an Bewusstsein, auf individueller Ebene oft an Verständnis. Die nationalen Ernährungsrichtlinien spiegeln in den meisten Fällen nicht die gesundheitlichen Bedürfnisse und Nachhaltigkeitsziele der Gesellschaft wider. Die wirtschaftlichen Anreize gehen oft in die falsche Richtung, so gibt zum Beispiel die EU immer noch um 20% ihres jährlichen Budgets aus, um tierische Landwirtschaft zu subventionieren (31). Dabei ernähren sich unter anderem im deutschsprachigen Raum immer mehr Menschen rein pflanzlich, vegetarisch oder senken ihren Fleischkonsum (32). Öffentliche Kantinen in Gesundheits- und Bildungseinrichtungen servieren weiterhin große Mengen tierischer Produkte, obwohl die WHO so weit geht, verarbeitete Fleischprodukte als Gruppe 1 karzinogen, also sicher krebsauslösend, einzustufen (33). Obwohl Gesundheitsprävention auf staatlicher Ebene als Bildungsziel in allen Schulen integriert ist (34), fehlt es oft an der praktischen Umsetzung. Der Umstieg zu einer großteils pflanzlichen Ernährung muss auf allen Ebenen erleichtert werden und es braucht mehr Anreize zu einer zukunftsorientierten Nahrungsmittelproduktion, wenn die Klimaziele erreicht und die Pandemie der NÜKs aufgehalten werden soll.

Als positives Beispiel kann die Universität von Oxford genannt werden, die ihre eigenen Publikationen ernst nimmt (8,10) und aufzeigt, wie eine Umstellung auf lokaler Ebene funktionieren kann. So wurde etwa auf dem Campus ein rein veganes Café eröffnet und in der Mitarbeiterkantine der Fokus auf eine Vielzahl pflanzlicher Speisen gelenkt (35), um durch sogenanntes „Nudging“ auch nicht vegan lebende Menschen zu bewegen, pflanzliche Optionen vorzuziehen.

Es ist gut, an die Eigenverantwortung zu appellieren – nichtsdestotrotz braucht es ein Umdenken auf staatlicher Ebene, um die von der WHO aufgelisteten Gefahren für die globale Gesundheit zu bekämpfen.

Ideen zur Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf gesellschaftlicher Ebene

  1. Anpassung der Ernährungsguidelines auf nationaler und internationaler Ebene; Fokus auf die gesundheitlichen Interessen der Einzelperson sowie die Auswirkung auf die globale Gesundheit
  2. Einführung gesunder, vollwertiger, pflanzlicher und nachhaltiger Lebensmittel in Schulen, Krankenhauskantinen und anderen öffentlichen Einrichtungen.
  3. „Nudging“ zu einer gesunden Lebensweise; z.B. durch Steuernachlass auf Obst und Gemüse, mehr öffentliche, kostenlose Sporteinrichtungen, weniger Werbung für verarbeitete, ungesunde Lebensmittel an öffentlichen Orten, etc.
  4. Stärkerer Fokus auf Bildung in den Bereichen gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit an allen Pflicht- und weiterführenden Schulen.
  5. Rückbesinnung auf die Primärprävention statt Symptomkontrolle - im klinischen Bereich, in der Ausbildung und in der Gesundheitspolitik im Allgemeinen.
  6. Fixe Etablierung von Ernährungsmedizin als Fach an medizinischen Universitäten.
  7. Mehr Möglichkeiten für die medizinische Forschung im Bereich der Ernährungswissenschaften, um die Rolle der Ernährung in den pathophysiologischen Prozessen der Krankheitsentwicklung besser zu verstehen.
  8. Anpassung des wirtschaftlichen Anreizsystems; staatliche Subventionen müssen an Nachhaltigkeits- und Gesundheitskriterien geknüpft sein, nach dem Motto: „Gesundheit vor Profit“.
  9. Subvention von Bäuerinnen und Bauern sowie Agrarbetrieben beim Umstieg zu nachhaltiger, pflanzlicher Landwirtschaft und Unterstützung bei der Wiederbewaldung von ehemaligen Agrarflächen.

Referenzen

  1. WHO (2019) Ten threats to global health in 2019. Retrieved August 08, 2022 from: https://www.who.int/news-room/spotlight/ten-threats-to-global-health-in-2019.
  2. European Comission (no date available) Causes of climate change. Retrieved August 08, 2022 from: https://ec.europa.eu/clima/climate-change/causes-climate-change_en#:~:text=Burning%20fossil%20fuels%2C%20cutting%20down,greenhouse%20effect%20and%20global%20warming.
  3. Vermeulen SJ, Campbell BM, and Ingram SI (2012) Climate change and food systems. Annu Rev Environ Resour 37:195-222; doi: https://doi.org/10.1146/annurev-environ-020411-130608.
  4. Schlatzer M. und Lindenthal, T. (2020): Einfluss von unterschiedlichen Ernährungsweisen auf Klimawandel und Flächeninanspruchnahme in Österreich und Übersee (DIETCCLU). Endbericht von StartClim2019.B in StartClim2019: Weitere Beiträge zur Umsetzung der österreichischen Anpassungsstrategie, Auftraggeber: BMLFUW, BMWF, ÖBf, Land Oberösterreich
  5. De Schutter L, et al. (2015): Achtung: Heiss und fettig - Klima & Ernährung in Österreich - Auswirkungen der österreichischen Ernährung auf das Klima. Retrieved August 10, 2022 from: https://www.wwf.at/wp-content/cms_documents/wwf-ernaehrungsstudie_langfassung.pdf.
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  8. Poore J and Nemecek T (2018) Reducing food’s environmental impacts through producers and consumers. Science 360(6392)987–992.
  9. Clarke MA, Domingo NGG, Colgan K, et al. (2021) Global food system emissions could preclude achieving the 1.5° and 2°C climate change targets. Science 370(6517)705-708.
  10. Springmann M, Spajic L, Clark MA, et al. (2020) The healthiness and sustainability of national and global food based dietary guidelines: modelling study. BMJ 370:m2322; doi: https://doi.org/10.1136/bmj.m2322.
  11. Madhav N, Oppenheim B, Gallivan M, et al. Pandemics: Risks, Impacts, and Mitigation. In: Jamison DT, Gelband H, Horton S, et al., editors. Disease Control Priorities: Improving Health and Reducing Poverty. 3rd edition. Washington (DC): The International Bank for Reconstruction and Development / The World Bank; 2017 Nov 27. Chapter 17; doi: 10.1596/978-1-4648-0527-1_ch17. Retireved May 6, 2022 from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK525302/.
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