/Contribution
Wir müssen jetzt beginnen, unser Leben zu ändern
Agenda 2030 - 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben drei Jahre an Optionen für eine lebenswerte Zukunft gearbeitet.
"Transformation unserer Welt“: So lautet der Titel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Die wegweisende UN Agenda wurde im September 2015 von 193 Mitgliedstaaten bei einem Gipfeltreffen in New York verabschiedet. In ihr sind 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung formuliert, die ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereinen. Dadurch wird für alle Staaten ein globaler Rahmen für die Umwelt und Entwicklungspolitik bis zum Ende des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts vorgegeben. Mit
Ministerratsbeschluss vom 12. Jänner 2016 wurden alle Bundesministerien
beauftragt, die nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 in den
ressortspezifischen Strategien und Programmen zu berücksichtigen und
entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Damit hat die
Republik Österreich wie die restliche globale Staatengemeinschaft eine
zukunftsweisende Verpflichtung und zukunftsrelevante Verantwortung
übernommen – so schön, so gut!
Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, übrigens genauso viel Zeit wie
seit den Beschlüssen zum Klimaschutz durch den Pariser Vertrag. Es
stellt sich die Frage: Was ist zur Erfüllung der Verpflichtungen seither
geschehen bzw. was haben die Bundesministerien konkret beigetragen? Bis
zur Erstellung des „Freiwilligen Nationalen Berichts zur Umsetzung der
Nachhaltigen Entwicklungsziele“ durch eine interministerielle
Arbeitsgruppe, der im Sommer 2020 dem „High-Level Political Forum“ der
UN übermittelt wurde, haben sich die Bemühungen in einem sehr
überschaubaren Rahmen bewegt.
Gesetzlicher Auftrag
Im gleichen Zeitraum hat sich seitens des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung der Ruf nach Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung durch die Universitäten zunehmend verstärkt. Unter dem Schlagwort „Responsible Science“ wird neben den klassischen Handlungsfeldern Forschung und Lehre eine „Dritte Mission“ eingefordert. Die Universitätenkonferenz versteht darunter laut ihrem „Manifest für Nachhaltigkeit“ den gesetzlichen Auftrag, „zur Lösung von Problemen des Menschen sowie zur gedeihlichen Entwicklung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt beizutragen“. Universitäten sehen sich als Vordenkerinnen, die den Weg zu einer zukunftsfähigen und lebenswerten Gesellschaft aktiv mitgestalten.
Wenn das nicht nur schöne Phrasen sein sollen, dann heißt das unter anderem: Erkennen Universitäten in gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen Fehlentwicklungen, müssen sie auf die Missstände hinweisen und basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen Vorschläge zu deren Überwindung in die Diskussion einbringen. Im Idealfall werden dies Vorschläge in unmittelbarer Zusammenarbeit mit Vertreter_innen aus Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung und Wirtschaft erarbeitet. Wenn sie das nicht tun, werden sich die Universitäten den Vorwurf gefallen lassen müssen, wider besseres Wissen geschwiegen und sich für die nicht nachhaltige Entwicklung mitverantwortlich gemacht zu haben.
Optionenbericht für die Politik
Vor diesem Hintergrund und aus der zunehmenden Erkenntnis, dass dieses dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts existenzielle Bedeutung für unsere zukünftige Existenz haben wird, haben sich 2019 16 Universitäten, die Geologische Bundesanstalt, das Climate Change Centre Austria (CCCA) sowie der studentische Verein forum n im Projektkonsortium UniNEtZ (Universitäten und Nachhaltige Entwicklungsziele) zusammengeschlossen. Ziel ist ein Optionenbericht, der der Bundesregierung aufzeigt, wie aus wissenschaftlicher Sicht die Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 durch und in Österreich erreicht werden können. Unter Option wird dabei im Sinne des Weltklimarats IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ein für Entscheidungsträger_innen in Wirtschaft und Politik relevanter Vorschlag von Maßnahmen verstanden. Letzterer beruht auf einer umfangreichen, von interdisziplinären Teams durchgeführten Analyse und Bewertung des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstands. Die Beiträge zur Zielerreichung gelten sowohl in der Innenwirkung als auch in der Außenwirkung, durch die Österreich auf die Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele in anderen Ländern, insbesondere im Globalen Süden, einwirken kann. Nach drei Jahren intensiver wissenschaftlicher Analyse und Bewertung legt das Konsortium aus mehr als 300 Wissenschaftler_innen, Künstler_innen und Studierenden nun etwa 150 Optionen mit über 1000 konkreten Maßnahmen vor, die im UniNEtZ-Optionenbericht „Österreichs Handlungsoptionen zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 für eine lebenswerte Zukunft“ zusammengefasst werden. Am 2. 12. 2021 wird dieser Optionenbericht der Bundesregierung übergeben. Jede Option lässt sich einem der 17 Nachhaltigkeitsziele bzw. der 169 Unterziele der Agenda 2030 zuordnen und führt dann Einzelmaßnahmen bzw. Maßnahmenbündel auf, die aus wissenschaftlicher Sicht zur Zielerreichung beitragen können. Diese sektoralen Maßnahmen, die zusätzlich hinsichtlich ihrer generellen Wirkungsweise, ihrem zeitlichen Horizont sowie den Wechselwirkungen mit anderen Optionen bzw. Maßnahmen erläutert werden, verstehen sich explizit als Vorschläge bzw. Empfehlungen.
Grundlegende Änderungen
Durch ihr Zusammenwirken tragen diese Optionen zur für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele nötigen sozialökologischen Transformation bei, also dazu, dass sich unsere Lebens- und Wirtschaftsweisen grundlegend verändern müssen. In Form einer Synthese wird an dieser Stelle in den kommenden Wochen anhand der sechs nachstehenden, am UN-Bericht „The Future is Now“ orientierten Transformationsfelder berichtet werden, welche Schritte geboten erscheinen: Wohlergehen von Mensch und Gesellschaft; Globale Umwelt-Commons; Nachhaltige und gerechte Wirtschaft; Energiesysteme und zirkuläres Kohlenstoffmanagement; Ernährung und Lebensmittelproduktion; Städtische und ländliche Raumentwicklung. In den Beiträgen wird jeweils aufgezeigt, welche Aufgaben dabei definierten Adressatengruppen (Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Finanzwirtschaft, Individuen und Gruppen, Bildung, Wissenschaft, Kunst und Medien) bei der Umsetzung der Maßnahmen und damit für die Hebung der Transformationspotenziale in den sechs Bereichen aus wissenschaftlicher Sicht zufallen. Aufgrund der unzweifelhaften Dringlichkeit des Handelns und des immer kürzer werdenden verbleibenden Handlungsspielraums sind die UniNEtZ-Vorschläge auch als ein Appell der Wissenschaft zu verstehen, endlich Maßnahmen für eine lebenswerte Zukunft zu setzen – bevor es dafür zu spät ist!